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Das Tier neben uns
(Indien - Österreich)
Über ein Filmessay von Michael Wörgötter Text: Angelika Fitz

„Wer glaubt, dass Kühe am liebsten Gras fressen, glaubt wohl auch, dass streunende Hunde es bevorzugen, erschossen zu werde“ Das sagen die Einen. Andere sagen „Auch Hitler war Vegetarier“. Oder:„Was die Nirwana nennen, heisst bei uns Depression“. Zweifelsohne ein Naturfilm. Es geht um Disziplin und Mitgefühl, um Sehnsucht und Ekel - und wie viel Zeit dafür bleibt. Michael Wörgötters Filmessay Das Tier neben uns zeigt indische Intellektuelle beim Nachdenken über alltägliche Video-Aufnahmen von Kühen und Hunden aus Österreich. Es werden keine vorgefertigten Fragen gestellt - das Format Interview wird konsequent vermieden. Stattdessen dienen die Videofragmente  als Auslöser persönlicher Assoziationsketten.

Mit derselben Verfahrensweise werden österreicherische Protagonisten konfrontiert, denen der Regisseur alltägliche Tierszenen aus Indien vorführt. Die Unverfänglichkeit der Bilder aus der jeweils anderen Kultur löst die Zungen und erlaubt den Betrachtern ein entspanntes Reden über „das Andere“. Die gezeigten Bilder werden zu interkulturellen Projektionsräumen, in denen sich persönliche Erinnerungen und scharfsinnige Analysen mit gewagten Hypothesen überlagern. Fragen kultureller Differenz, Fragen nach den Bildern, die wir vom„Anderen“ haben und welche Selbstbeschreibungen sich darin zeigen, werden „über Bande gespielt und auf dem Rücken völlig unschuldiger Tiere ausgetragen“ (M. W.) .

Angesichts der Harmlosigkeit der gezeigten Tierszenen mag man zuerst an einen dramaturgischen Missgriff denken: Lassen sich die Auswirkungen von kulturellen Traditionen und aktuellen gesellschaftlichen Umwälzungen anhand von Tierbildern erhellen? Oder sind es gerade die Verunsicherungen  im Zuge der Globalisierung, die eine erneute Hinwendung zur Natur bewirken? Die Masse an Naturdokumentationen und der dabei betriebene Aufwand sind Indizien dafür und man kann sich fragen, warum angesichts massiver kultureller Konflikte - des „Clash of Civilizations“ - ausgerechnet das ausserkulturelle Feld der Natur einen solchen medialen Boom erfährt. Nicht zuletzt in der Wirtschaft gehören Biologismen und Naturmetaphern zur sprachlichen Grundausrüstung ambitionierter Vermehrungs- und Verknappungsgeister.

»Natürlich hat das alles wenig mit Natur zu tun«, wie Michael Wörgötter festhält: »Der Projektionsraum „Natur“ interessiert mich als kulturelles Phänomen. Mir persönlich ist übertriebene Naturliebe ebenso fremd wie Naturverachtung und ich kann lediglich feststellen, dass es sich bei „Natur“ offenbar um einen Fehler oder einen Mangel handeln muss. Denn warum sonst gibt es Kultur? Aber mit der Kultur verhält es sich genauso. Allein dass es so viele verschiedene Kulturen gibt, beweist ja deren jeweilige Mangelhaftigkeit. Was sich uns als Kultur präsentiert, ist folglich ein mehr oder weniger gut getarnter Fehler aus dem Reigen von Fehlern in bunten Tarnmäntelchen der Kulturen. Trotzdem kann ich eine gewisse Kulturliebe nicht abstreiten und mir sind auch Gefühle von Kulturverachtung nicht fremd. Aufgrund meiner eigenen Ambivalenzen, wie auch den Fragwürdigkeiten von medialen Natur- und Kulturrepräsentationen finde ich es interessant, eine filmische Entdramatisierung beider Bereiche zu versuchen. In diesem Zusammenhang ist für mich auch die Musik des österreichischen Komponisten Manfred Hofer von grösster Bedeutung.  Ihre fein dosierten tonalen und rhythmischen Ambivalenzen  halten die Bilder scheinbar mühelos in Schwebe.«

Das Tier neben uns zitiert das Genre Naturdokumentation, um es zugleich bildlich und wörtlich in den „Schmutz der Kulturen“ zu ziehen. Dafür werden die »biologistischen Altherren-Mantras und deren Beschwörungen eines ständig bedrohten „wilden“ oder sonstwie „reinen“ Lebens« (M. W.) aus Naturfilmen durch gegenläufige Deutungsvorschläge ersetzt. Anstelle einer sonoren Stimme aus dem Off begegnen  sich nachdenkliche Monologe und übermütige Gedankenexperimente. Der Absage an eine fliessende Meta-Narration entspricht auf der Bildebene die Aufführung zahlreicher „filmischer Fehler“. „Im Gegensatz zu ästhetisierter „Wildlife Dramatik“ oder der filmischen Inszenierung von Gruselkabinetten kultureller Abnormitäten bevorzuge ich eine Art entschlossener Gemütlichkeit. Darin zeigt sich wahrscheinlich auch etwas davon, was ich mir als „wienerisch“ wünsche: Eine kultivierte Respektlosigkeit, die uns Raum und Zeit lässt für Annäherungen.“ (M. W.)

Das Tier neben uns

Von Michael Wörgötter

DeEgo, Österreich/Indien 2006, Video, 52 Min.

Mit:
Rudi Heredia (Soziologe am Indian Social Institute, Neu Delhi)
Ranjit Hoskote (Kulturtheoretiker, Literat und Kurator, Bombay)
Shantanu Lodh (Künstler, Neu Delhi)
Wolfgang Pauser (Essayist, Wien)
Amit Sengupta (Journalist, Neu Delhi)
Klaus Stattmann (Architekt, Wien)

Script, Regie, Kamera:     Michael Wörgötter
Kamera Interviews:          Alexander Binder
Ton:                                    Peter Janecek
Schnitt:                               Elke Groen, Rosana Saavedra Santis, Jan Machacek
Schnittberatung:              Michael Palm
Musik:                                Manfred Hofer
Tonbearbeitung:              Amann Studios
Mastering:                         1z1 Screenworks

Produziert im Rahmen der Projektreihe „Import Export - Kulturtransfer zwischen Indien und Deutschland, Österreich“ - von der Werkleitz Gesellschaft e.V. (Halle) und DeEgo (Wien). Teilherstellungskooperation mit meter film.

Gefördert durch die EU (ECCP) und das Bundeskanzleram Österreich

Michael Wörgötter, geb. 1963

Künstler, Filmemacher und Kurator
Gründer des Kunst- und Theorienetzwerks DeEgo, Wien
U.a. Videoserie „Global Servants“ New Delhi 1999/2000
„Believe at your own risk“ gemeinsam mit Shantanu Lodh, Kunsthalle Wien
„Boxwallahs“ gemeinsam mit Angelika Fitz, Diagonale Graz, 2002
Drehbuch „The Cow Servers Movement“ gemeinsam mit meter  filmproduktion Einladung zur Sundance Producers Conference, 2004

Kontakt:
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Tel: 0699 120 40 840


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