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Salon 13
Clemens Gadenstätter / Lisa Spalt :

ballade 1 für Klavier und Stimme, 1997, 23’

Über simultanes Arbeiten
Um am Anfang zu beginnen: Klar war uns beiden, daß Text hier weder vertont werden sollte noch wollte. Die Konsequenz daraus, nämlich jene, daß, sollte ein Medium aufs andre reagieren, gleichzeitig gearbeitet werden mußte, brachte Schwierigkeiten mit sich: Ein Komponieren, das Klanggeschehen in der Zeit aufs genaueste ordnet einerseits, andrerseits aber ein Schreiben, das aus einem wie immer gearteten Kern immer wieder neue - von ihrer zeitlichen Dauer her variierende - Versionen herausschält, um auf diesem Weg zu einer selten endgültigen Textgestalt zu kommen, sind schwer zu koordinieren. Abgeholfen werden konnte dem Dilemma nur durch zwei parallel laufende Zeitstrukturierungen, einer geschlossenen auf der reinen Musikebene und einer offenen auf der reinen Textebene. Für die Passagen, in denen Musik und Text parallel laufen oder aber sich in schneller Folge abwechseln sollten, war damit natürlich keine Lösung gefunden.

  

Clemens Gadenstätter                                                   Lisa Spalt

Die Autonomie der Medien
Wie das so ist, wollte keine(r) von uns den oder die andere begleiten im Sinn von untermalen, wie wir andererseits beide nicht übermalt werden wollten. Der Triller als Ausgangsthema der musikalischen Ebene und eine Art von semantisch, semiotisch bzw. formal kippenden Deutungsmustern auf der Textebene sollten also genau so autonom bearbeitet werden können, als stünde die jeweilige Ebene für sich allein. Strukturell jedoch sollten Triller und "kippende" Deutungsmuster dermaßen aufeinander bezogen werden, daß sich die beiden Ebenen zu einem Ganzen fügten, indem außerdem das Pendeln zwischen den Ebenen diese Struktur auf rein organisatorischer Ebene wiederholte.
Was die simultanen Passagen angeht, war zunächst einmal auf einem Gemeinplatz noch gut stehn: Die lautliche Materialisierung von Sprache war eine Möglichkeit, Sprache als Musik zu sehn und als soche zu verarbeiten. So entstand Text teilweise nach phonetischen Vorgaben, ohne jedoch das Feld der Semantik preiszugeben.

Die fehlende Gehirnhälfte
Umgekehrt jedoch war es auf der Textebene nicht sinnvoll, die musikalische Ebene ins eigene System hereinzuziehn, da dies ja nur auf der gemeinsamen lautlichen Ebene möglich gewesen und Text damit zu Musik geworden wäre. Daher stand als thematische Linie der semantischen Ebene das Problem der fehlenden Semantik auf musikalischer Seite fest. Die Frage nach der Bedeutung von sprachlichen Fertigteilen, das Suchen nach Bedeutung als ein Fährtenlesen bzw. Vergleichen durchzieht den Text.
Gleichzeitig verlangt die Autonomie der Textebene, daß das von der musikalischen Ebene benötigte lautliche Material auch solches ist, von dem semantisch ausgegangen werden kann. Rhythmus und Assonanz als Material der Musik führten als ebenfalls semantisch bedeutsame zu Auszählreim, von dort zur Aufzählung als einer "Variation" eines sprachlichen Musters usw.

Umschlagen, Kippen
Die Repetition bzw. repetiertes "Kippen" zwischen Tönen, d.h. der Triller bildeten denn auch den Ausgangspunkt auf der musikalischen Ebene. Schließlich wurde diese Form des "Kippens" zum Srukturgesetz, das alle Ebenen von "ballade l" regeln sollte, Kippen verstanden als eine eine Art räumlicher Umordnung der gleichen strukturellen Punkte eines rhythmischen, harmonischen, semantischen, ... Elements, welche imstande ist, einen neuen Zusammenhang zu erstellen, indem sie neue Punkte der Struktur sichtbar werden läßt. Jeder Aggregatzustand eines Elements ist dadurch immer nur ein möglicher, momentaner und in einen neuen übergehenden. So wiesen schließlich alle Elemente aller Ebenen gemeinsame Punkte auf, mithilfe derer der jeweilige Zusammenhang strukturell kippen konnte zwischen Musik und Sprache, zwischen rhythmischen, harmonischen und klanglichen Ordnungen, zwischen Sprache als phonetischem Material und Sprache als hauptsächlich semantischer, ... etc. bis zum Kippen von Musik in Klangzeichen. Am Kipp-Punkt von einer Ebene zur andern fängt sich  "ballade l"  schließlich immer wieder in tradierten Formen, die zwischen den Ebenen vermitteln konnten, erwähnt seien hier eben der Auszählreim oder aber der gereimte Sinnspruch. Ein solcher liegt als rhythmisches Grundmuster, das, aus der Sprache kommend, natürlich auch sein "Thema" mitbringt, dem gesamten zweiten Teil zugrunde und induziert dort wiederum eine Refrain- und Trillerstruktur:
Ebenso - auf ihre Art - semantisch bedeutsam werden in "ballade l" rein musikalische tradierte Formen wie zum Beispiel die Kadenz, bedenkend, daß sich zumindest im europäischen Kulturkreis kaum eine Person finden wird, die der Kadenz nicht ihre Funktion, d.h. ihre musikalische Bedeutung zuordnen wird können. Durch die Bearbeitung der - aus dem Komplex Kinderreim/Kinderlied bzw. Triller (Kadenztriller) stammenden - Kadenz wird auch auf musikalischer Ebene das Phänomen der Zeichenhaftigkeit, das heißt die Verbindung einer akustischen Gestalt mit einer bestimmten, verabredeten Bedeutung zum Thema.

Ein Stück, zwei Systeme
Allerdings fehlt der Musik, aus der Sicht der Sprache immer die Fähigkeit, auf außermusikalische Zusammenhänge hinzuweisen. Musik kommuniziert nur über Musik, wenn sie Klatsch und Tratsch weitergibt, dann nur in ihrem eigenen System und über sich selbst. Diese Inkongruenz von Musik und Sprache in bezug auf diesen semantischen Aspekt wird auf der Textebene zum Thema, führt den Text zunächst von der gemeinsamen lautlichen und rhythmischen Basis auf der Ebene von wenigen Phonemen weg, um endlich eine andere lautliche und rhythmische Basis genau dadurch wieder zu erreichen. Hier allerdings sind es nicht mehr einzelne Phoneme (R und Vokale), die, aus der musikalischen Struktur kommend, sprachlich verarbeitet werden, sondern aus einem bestimmten Duktus der Sprechsprache heraus (perseverierendes Sprechen) erreicht diese wieder annähernd musikalische Qualitäten. Ein Stück, zwei Systeme, zwei "einseitige" Dialoge: Musik bezieht Sprache als akustisches Material auf sich, Sprache versucht, das anfallende Material zu deuten. Jede der beiden Ebenen "versteht" an der anderen, was ihr strukturell verständlich ist und entwickelt den gemeinsamen Ausgangspunkt in ihre Richtung weiter, ohne die andere aus den Augen zu verlieren. Daher werden auch immer wieder gemeinsame Basislager errichtet, von denen aus weitergegangen werden kann.
Schließlich ist alles in einem Medium nur aus der grundsätzlichen Konstellation der beiden Medien zueinander - am Ende also immer aus dem jeweils anderen Medium abgeleitet. "ballade l" ist ein Gehen von zweien, die in der immer paradoxen Situation des sich verständlich machen Wollens und Müssens, des verstehen Wollens und überlebensnotwendigerweise verstehen Müssens genau diese Situation für sich zu klären versuchen.

Clemens Gadenstätter / Lisa Spalt

Christian Steinbacher : Lesung vor Tontechnikern


 

Christian Steinbacher stellt schlichtweg alle Aspekte unter Beobachtung, die Sprache und besonders das tradierte lyrische Sprechen auszeichnen. Vom einzelnen Laut bis zum komplexen syntaktischen Gefüge, vom Reim bis zur metrischen Verschränkung, vom Sprachfundstück bis zum findenden Sprechen reicht das Material dieser Poesie, dessen Verzahnung jedoch niemals bloß - im tradierten Sinn - experimenteller Selbstzweck bleibt. Immer bewegen sich diese subtilen Sinngebilde auf jenem schmalen Grat, auf dem jede Behauptung einer weltumspannenden Deutung logischerweise in den Un-Sinn, in die alogische Geste, umspringen muß. Immer bilden - durch Reim und Metrum als besonders sinnhältig empfundene - Gedichte nur momentan in der Form festgefrorene spiegelnde Oberflächen, unter denen es sich besonders gut ertrinken läßt. Und konsequent arbeitet Christian Steinbacher denn auch mit den deklamatorischen und physiognomischen Qualitäten der Rede, setzt Argumentationsgesten präzise ein, um sie an jenem bewußten Punkt der größten Ordnung - negativ formuliert: der größten Vereinfachung von Welt - sich am Widerspruch der Sprache brechen zu lassen: Sprache als sinnliches, stark akustisch bestimmtes Universum, in dem mit aus sich selbst heraus generierten poetischen Räumen balanciert wird; der Poet als Taschenspieler, der, um die Flüchtigkeit von Weltdeutungen wissend, deren Sprachen und Sinnstiftungsmechanismen ganz bewußt als ein Kaninchen aus dem Hut zaubert, als ein Karnickel, das sich beim Hingreifen in jedem Fall als Igel enpuppen wird. "So richtet sich Steinbacher", um mit Elisabeth Grossmann zu sprechen, "am reich gedeckten Tisch der Sprache wohnlich ein, um die gerasterte Ordnung durch Verkehrung, Unterstreichung, subjektive Auswahl und poetisch ausgerichtete Collagetechnik vom Scheintod der Plattheit wieder in den Zustand lebendiger Schöpfung zu setzen."

Charles Dekeukeleire : impatience
Frau fährt Motorrad, oder doch nicht? Der Tatbestand als ein Konglomerat sich detailliert fortbewegender Assoziationen. Die Mengen der visuell wahrgenommenen Bewegung und die Menge der vorgestellten Bewegung werden geschnitten, die Elemente der Schnittmenge linearisiert. Die Lust am Fahren, die Lust am Sehen, die Lust am Reflektieren der Er-fahrung.
Hans Scheugl und Ernst Schmidt jr. über den Film: "Der einfache Satz, die einfache Bildvorstellung "Eine Motorradfahrerin fährt Motorrad" wird in 33 Minuten in seine/ihre bildsprachlichen Bestandteile zerlegt, und diese werden heteroklitisch abgewandelt. "Eine": durch Lederkleidung, Brille und Haube ist die Fahrerin zunächst nicht als Frau zu erkennen. "Motorradfahrerin": wird bestimmt durch Kleidung, Motorrad, Haltung, die sie einnimmt, Bewegungen des Schaltens etc. Dabei kann jedes Element einzeln für sich gezeigt werden, also die Haltung des Fahrens, ohne wirklich auf dem Motorrad zu sitzen, Fahrerlebnis simulieren, ohne
wirklich zu fahren, schalten, ohne Lederkleidung zu tragen, wenn also, um das noch zu verdeutlichen, die Frau nackt ist. "Fährt" besteht aus der Körperhaltung (mit oder ohne Motorrad), Bewegung (ein Rad bewegt sich, beide Räder drehen sich; sie können aber auch stillstehen), konzentriertes Blicken geradeaus, lustvolles Genießen des Fahrens (Gegenwind, Geschwindigkeit, etc.). Statt der Tätigkeit des Fahrens kann auch das Fahrerelebnis selbst gezeigt werden, die vorbeisausenden Bäume und Wiesen, das Holpern, das Einbiegen in eine Kurve, der rasche Wechsel der Eindrücke. "Motorrad": technische Bestandteile, bewegte Räder, stehende Räder. Die Bild-Grammatik wird nicht allein vom Bildinhalt her bestimmt, als filmsyntaktische Elemente dienen auch Einstellungswinkel (von oben, von unten usw.), Belleuchtung (hell/dunkel), starre und bewegte Kamera, Brennweite der Optik usf."

Georg Bernsteiner : gernkogel retour
Georg Bernsteiners vorliegender Zyklus  von 21 Zeichnungen - gernkogel retour - stammt aus dem Jahr 1998. Mit ihren immer wieder verwendeten Elementen - wie etwa stilisierten Berg- und Pflanzenformationen - bildet die Reihe Zeichen aus, die das Bild als Text funktionieren lassen. Wie in der Sprache werden (Bild)Wörter immer wieder neu zueinander kombiniert, formen sich zu Sätzen, verformen sich quasi grammatikalisch in der Neukombination und lassen sich im Sinne einer komplexen, alle Schichten der ausgebildeten Sprache betrachteten Textur gleichsam lesen. So wechseln die im Verlauf etablierten Zeichen ihre "Aggregatzustände", indem sie als dreidimensionale Abbildung oder als Konstruktion von Linien auftreten, indem sie einerseits auf ein außerhalb der (Bild)Sprache liegendes Objekt verweisen oder aber - ähnlich einer Literatur, die lautliche und syntaktische Kongruenzen zur Zusammenhangsbildung nutzt - rein formale Analogien zwischen den einzelnen "Wörtern" ausbilden. So entsteht eine Art Bilderbuch, das nicht einen Text illustriert, sondern den Text in sich trägt, ein Bilderbuch, das selbst Text ist und durch seine einfache Formensprache dem Blick der Betrachtenden eine Kodierung der Elemente zu sprachlichen Zeichen nahezu aufdrängt.


 

Diese Einfachheit ist es auch, die Bernsteiners Bildtexten eine beunruhigendes Moment innewohnen läßt: Ähnlich wie in Lewis Carrolls "Alice im Wunderland" ist die Bernsteiner‘sche Sichtweise eine quasi-kindliche, die der Umwelt durch ihre Zusammenhangsbildung Sinn zu geben versucht, durch die Erkenntnis aber, daß dieser Sinn jeweils ein momentaner, reorganisierbarer ist, eine dauernde Verunsicherung zu vermitteln gezwungen wird. Die Dinge bleiben nie, was sie im Jetzt zu sein scheinen. Jedes Jetzt bringt ein neues "Aha, das ist die Welt", - eine Welt, die schließlich nur als dauerhaft trügerisch erscheinen muß. Wie Alice immer wieder entdeckt, daß - nicht nur im Wunderland - jede auftauchende Figur immer wieder behaupten kann, alles über die Welt zu wissen, vermittelt hier jedes Textbild ein geschlossenes Ganzes, das jedoch durch die ihm jeweils immanenten (von der Linie zur Fläche, vom Raum zum Klecks kippenden) Darstellungsweisen ihre Vorläufigkeit und Brüchigkeit mit sich trägt und im nächsten Textbild (in der nächsten Weltordnung) als tatsächlich vorläufig gewesenes erkannt wird.

Markus Arndt
Institut für Experimentalphysik, Wien
wird zu einem quantenmechanischen Thema sprechen.

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